Tuttlingen in den Jahren 1703/04: ein Augenzeugenbericht aus dem Spanischen Erbfolgekrieg


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Festung Honberg

Stadtschloss

Graf Heinrich von Schlick

Obervögte in Tuttlingen

Grenzfestung

Tuttlingen im 30jährigen Krieg

Kirchliche Verhältnisse vor dem Stadtbrand



Der Spanische Erbfolgekrieg hat in der Region um Tuttlingen einige Narben noch bis zur heutigen Zeit in Form von Schanzanlagen hinterlassen. Diese Schanzen und die Umstände ihrer Entstehung wurden in einer Arbeit in den Tuttlinger Heimatblättern 2005 ausgiebig vorgestellt (Hans-Joachim Schuster, Die Schanzen aus dem Spanischen Erbfolgekrieg, THB 68, 62-74).

Schon allein die Präsenz dieser Schanzanlagen läßt darauf schließen, daß der Tuttlinger Raum im Kriegsgeschehen eine nicht unwesentliche Rolle spielte und Stadt und Amt unter dem Kriegsgeschehen zu leiden hatten. Hauptereignis für Tuttlingen war in diesem Krieg die Konjunktion der bayerischen und französischen Truppen im Mai 1703. Sucht man jedoch in der einschlägigen Fachliteratur nach genaueren Informationen zum Kriegsgeschehen im Raum Tuttlingen, wird man kaum fündig. Selbst in der heimatkundlichen Literatur wird die Konjunktion der Truppen zweier Länder, wenn überhaupt, einfach als gegeben hingenommen. Doch in der württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart hat sich in seiner "Württembergischen Landsbeschreibung" der Augenzeugenbericht des damaligen Diakons in Tuttlingen Johann Jakob Schmid erhalten (Cod. hist. fol. 757). Auf dieser wertvollen, bisher nicht in ihrer Gänze beachteten Quelle basierend soll im folgenden das Geschehen in den Jahren 1703/04 in Tuttlingen dargestellt werden.


Weltpolitische Ereignisse bis zum Jahr 1703

Will man sich die Tragweite des Spanischen Erbfolgekriegs klarmachen, so muß man sich das Ausmaß der zur Disposition stehenden Erbmasse der spanischen Habsburger vor Augen führen. Diese umfaßte außer Spanien selbst die spanischen Niederlande, also das heutige Belgien, etwa die Hälfte von Italien in Gestalt des Herzogtums Mailand und der Königreiche Neapel-Sizilien und Sardinien, den größeren Teil von Mittel- und Südamerika und der Karibik, ein Drittel von Nordamerika und die Philippinen.

Seit vielen Jahren war offensichtlich, daß Karl II., der schwerkranke letzte Sproß der spanischen Habsburger, ohne Nachkommen sterben würde. Erbansprüche konnten die Bourbonen und die österreichischen Habsburger stellen, also die zwei großen konkurrierenden Dynastien des Kontinents, seit zwei Jahrhunderten Erzfeinde. Beide Alternativen mußten den übrigen europäischen Mächten höchst bedenklich erscheinen. Erhielt ein Mitglied des französischen Königshauses dieses riesige Erbe, dann würde die Verbindung der stärksten und aggressivsten Monarchie in Europa mit dem Weltreich der spanischen Habsburger eine bourbonische "Supermacht" entstehen lassen, der niemand mehr gewachsen wäre. Weder der österreichische Zweig des Hauses Habsburg noch die zum Schutz ihrer Kolonial- und Handelsinteressen auf ein europäisches Gleichgewicht bedachten Seemächte England und Holland hätten eine solche Entwicklung kampflos hinnehmen können.

Kaum hoffnungsvoller sah die Lage aus, wenn das Erbe an die österreichischen Habsburger fiel. Nie würde sich Frankreich die Umklammerung durch das wiedererstandene Reich Karls V. gefallen lassen und auch die anderen Staaten hatten kein Interesse an einer absoluten Übermacht des Hauses Habsburg. Das bedeutete, daß auch in diesem Fall der Ausbruch eines allgemeinen Kriegs unvermeidlich war.

Gerade in dieser Großmachtbasis der beiden Konkurrenten sahen nun die Wittelsbacher ihre Chance aus dem Erbe territorialen Gewinn ziehen und vor allem die Rangerhöhung des Hauses durch Erringung einer Königskrone zu bewerkstelligen. Max II. Emanuel konnte für seinen Sohn Joseph Ferdinand Ansprüche geltend machen, die sich von dessen Mutter, der Kaisertochter Maria Antonia, herleiteten. Die relativ geringfügige Veränderung im Mächtegleichgewicht, die eine Verbindung Bayerns mit dem spanischen Weltreich mit sich bringen würde, ließ dies als Lösung erscheinen. Einzig dieser Kompromiß berechtigte zu der Hoffnung den großen Krieg doch noch vermeiden und zugleich eine Teilung des Erbes verhindern zu können. So kam es, daß Karl II. von Spanien 1698 den bayerischen Kurprinzen zum Alleinerben einsetzte. Doch mit dem Tod des Prinzen im Februar 1699 erloschen die Erbansprüche des Hauses Wittelsbach, denn diese waren ja nur über die Heirat mit der inzwischen verstorbenen Habsburgerin Maria Antonia zustande gekommen. Der Tod Joseph Ferdinands machte alle Bestrebungen illusorisch, die spanische Erbfolge auf friedlichem Wege lösen zu können.

Am 1. November 1700 starb Karl II. von Spanien. In seinem letzten, nun in Kraft tretenden Testament setzte er Philipp von Anjou, einen Enkel Ludwigs XIV., zum Alleinerben ein. Der französische König akzeptierte das Testament und ließ unverzüglich Mailand und die spanischen Niederlande von französischen Truppen besetzen. Im Frühjahr 1701 eröffneten die Kaiserlichen in Oberitalien die Feindseligkeiten gegen die Franzosen. Der lange befürchtete Spanische Erbfolgekrieg war da, auch wenn die offizielle Kriegserklärung des Kaisers noch ein Jahr auf sich warten ließ. Die Seemächte und die Stände des deutschen Reichs verhielten sich vorerst abwartend, so auch Max Emanuel. Obwohl er keine Erbansprüche mehr geltend machen konnte, war der Kurfürst unbeirrbar entschlossen, die internationale Krise auszunutzen, um durch eine beide Seiten gegeneinander ausspielende Bündnispolitik und durch gezielten militärischen Einsatz doch noch maximale Gewinne für sein Haus herauszuholen. Die wichtigsten Trümpfe, die er in der Hand hielt, waren die für Kaiser und Reich bedrohliche strategische Schlüsselposition seiner Territorien und die Stärke seiner Armee, die er auf 27000 Mann brachte, eine für die Größe seines 1,1 Millionen Einwohner zählenden Landes ganz außergewöhnliche Zahl.

Im September 1701 kam es zum Abschluß der Großen Allianz zwischen dem Kaiser und den Seemächten. Weitere acht Monate vergingen, bis am 15. Mai 1702 die Allianz in aller Form Frankreich und Spanien den Krieg erklärte. Alsbald wurde außer in Oberitalien auch in den Niederlanden, im Rheinland, in Spanien und auf den Weltmeeren gekämpft. Ludwig XIV. war bemüht einen Neutralitätsblock im Reich aufzubauen und setzte hierbei insbesondere auf den bayerischen Kurfürsten. Aber auch die Seemächte zeigten sich höchst interessiert, Max Emanuel und seine bewährte Armee auf die Seite der sich formierenden Allianz zu ziehen, selbst wenn der Preis sehr hoch sein würde.

Sein Pokerspiel führte Max Emanuel schließlich fast zwangsläufig an die Seite Frankreichs, denn nur Ludwig XIV., der an einer Schwächung Habsburgs interessiert war, konnte Bedingungen gewähren, die dem Ehrgeiz des Kurfürsten entsprachen. So wurde im August 1702 ein französisch-bayerischer Bündnisvertrag geschlossen. Wenig später, am 8. September, schlug Max Emanuel los, indem er die Freie Reichsstadt Ulm überfiel und einnahm. Im Winter 1702/03 machte er weitere Eroberungen und führte eine erfolgreiche Rundumverteidigung gegen die von allen Seiten andrängenden Kaiserlichen und Reichstruppen, im Frühjahr 1703 vereinigte er sich in Tuttlingen mit einer französischen Armee. Der anschließende Einfall in Tirol schlug nach anfänglichen Erfolgen zwar fehl, doch der glänzende Sieg in der ersten Schlacht von Höchstädt am 20. September 1703 und die Eroberung von Augsburg und Passau festigten zum Jahreswechsel die Position Max Emanuels wieder in einem Maß, das die Kriegsanstrengungen des Kaisers und der Reichskreise zu lähmen drohte – dies umso mehr, als der bayerische Kriegseintritt die Ungarn veranlaßt hatte, sich unter Franz Racoczy gegen die habsburgische Herrschaft zu erheben, so daß die Kaiserlichen nun an drei Fronten, in Oberitalien, in Süddeutschland und in Ungarn, kämpfen mußten.


Die Ereignisse in Tuttlingen

Anno 1703 hat die Kriegsunruh wid angefangen welche in Würtemberg hiesige Statt und Amt insonderheit betroffen hat, so beginnt der Bericht. Tuttlingen hatte sich gerade von den Folgen des dreißigjährigen Krieges erholt, die Stadtbefestigung war, wenn auch deutlich weniger stark fortifiziert als vor ihrer Schleifung 1645 durch Widerholt, endlich mit Unterstützung des Herzogs von Württemberg wieder aufgebaut worden, langsam kehrte der Alltag im Städtchen wieder ein. Schmid fährt fort: Wiewol den Leüthen nichts am Leben geschahe, haben sie doch dies Jahr all ihre Früchte was nicht anfangs eilends in die Schweitz geflüchtet worden, verlohren sowol auf dem feld als in den häusern.

Der bayerische Kurfürst wählte als Ort für eine Konjunktion mit den französischen Truppen Tuttlingen aus, weil nun diese Statt an der Donaw wolgelegen und der weg durch den Schwartzwald hindurch dem breisgöw zugieng, so sollte die conjunction hier geschehen.

Den Anfang machten die Franzosen. Nachdem sie am 1. Mai das mit Landvolk besetzte Hornberg eingenommen hatten, kamen sie auf ihren Erkundungsstreifzügen am 4. Mai mit einigen hundert Reitern vor der Stadt an. Tuttlingen blieb zwar von einer größeren Einquartierung verschont, nur die Offiziere verlangten Zutritt in die Stadt. Die Masse der Soldaten blieb über Nacht auf dem Felde, jedoch mußte man ihnen genügend Brot, Wein, Bier, Hafer, Heu, Stroh und Holz hinaus liefern. Am nächsten Morgen in aller Frühe zogen sie wieder ab. Genau an diesem 4. Mai kam auch die Salva Guardia an, die in der Kellerei einlogiert wurde.

Am 6. Mai rückten 4000 bayerische Soldaten an, die ihr Lager im "Gärtlin" westlich der Stadt aufschlugen. Sie wusten nicht vil von höflichkeit, sie forderten mit größtmöglicher Frechheit und durchsuchten die Häuser nach allem was sie bekommen und brauchen konnten. Die Unteroffiziere konnte man mit Essen und trincken nicht erfüllen, darum tribulierten sie die leuth die noch hier warn (den vil waren in die Schweitz geflohen) um Schweine, Hüner und anders. Auch stießen sie Schmachworte gegen den Landesherrn wegen seiner Jugend aus (den damals 27jährigen Eberhard Ludwig von Württemberg)

Als am 7. Mai eine Abordnung französischer Reiterei ankam, bedrängten auch diese die Bürger der Stadt. Tags darauf wurden die Reiter zwar abgelöst, doch auch die Ablösung durchsuchte die Häuser nach Brauchbarem und plünderte die leerstehenden Gebäude.

Am 10. Mai kam der französische General Villars in Tuttlingen an, ritt aber gleich weiter nach Möhringen, wo er sein Quartier bezog. Als Brandschatzung erhielt er von den Möhringern 3000 fl.
General Villars gab sich Tuttlingen gegenüber freundlich, welches wir der güte gottes zuzuschreiben hatten. Denn die Tuttlinger hatten ihn, als er mit seiner Armee nach Ulm marschierte, mit etlichen Säcken Hafer versorgt, welches ihm so wol gefallen, daß Er versprochen wan das gantz württembergische Land sehr verbrennt wurde sollte Duttlingen die letze seyn.

Am 12. Mai kam dann die gesamte französische Armee hier an, dazu noch einige irische Regimenter, die der in der "Glorious Revolution" 1688 abgesetzte englische König Jakob II. mit sich nach Frankreich herüber gebracht hatte. Die Offiziere wurden in den Häusern der Stadt einquartiert, im Spezialat logierten 2 Generallieutenants mit ihren Dienern, im Diakonat ein irischer Colonel mit seinem Bruder, einem Lieutenant, und 20 Bediensteten. Die Iren scheinen besonders gnadenlose Menschen gewesen zu sein, die für sich mehr Lebensmittel forderten als überhaupt in der Stadt vorhanden waren.

Am 15. Mai abends um 4 Uhr zog endlich der Kurfürst Max Emanuel in Bayern selbst mit großem Staat unter Pauken und Trompeten in die Stadt ein. Den Trompetern und Paukern verehrte er 42 Louis d'Or (es handelt sich hierbei übrigens um die bislang erste bekannte Erwähnung der Tuttlinger Stadtmusik!). Danach hat Duttlingen die Ehr gehabt die lang begehrte conjunction mit franckreich u Baiern zusehn, welches dan eine Ungemeine freud bey Ihnen verursachete in der Meinung nun sey alles gewonnen. Der Kurfürst nahm sein Quartier im Wirtshaus zum Hirsch, allwo Er alsbald Gott zur Dankbarkeit wegen glücklich vollbrachter conjunction in der undern Stube eine Meß lesen lassen. General Villars aber bezog Quartier im Wirthaus zum Bären, weil es nahe am Donautor lag. Darauf ist gleich der Villars zu dem Churfürsten gegang und hat sich mit Ihm besprechet.

Der folgende Tag begann mit einer Truppenbesichtigung. Der Kurfürst besichtigte die frantz. Armee die sich vom Möringen bis hieher erstreckte, sie hat 3 mal salve geben, die soldaten warfen ihre hüte in die höhe und rufften Vive le roi et sa Altesse l'Elelectuer de Bavier. Darauf reisete der Churfürst noch selbigen abend Mößkirch zu. Am 21. Mai folgte die vereinigte Armee nach und marschierte das Donautal hinab über Mühlheim Richtung Ulm, nicht ohne dabei die auf den Äckern aufkeimende Saat gänzlich zu zertrampeln und zu zerstören. Dadurch kam es zu einer Kornknappheit, die einzige Ernte die in diesem Jahr somit noch zu erwarten gewesen war, bestand in ein wenig Hafer.

Die Konjunktion der bayerischen und französischen Armee zu einem Heer von 50000 Mann war gut über die Bühne gegangen, die Armeen waren abgezogen, doch der Krieg blieb mit seinen Auswirkungen in Tuttlingen und Umgebung spürbar.

Am 17. Oktober 1703 kam eine Partie Franzosen auf ihren Beutestreifzügen von Ulm aus in den Raum Messkirch. Auch der Tuttlinger Raum wurde von ihnen heimgesucht. Emmingen wurde bei Nacht geplündert und etliche Häuser in Brand gesteckt. Schmid findet folgende Geschichte überlieferungswürdig: Eine Frau hatte 40 Gulden im Schrank versteckt, um sie vor der Plünderung zu retten. Als ein plündernder französischer Soldat in der Nacht die Treppe heraufschlich, meinte sie im Dunkeln, es sei ihr Mann, gab ihm das Geld und sprach "Simme, behalts" (Simme=Simon). Der Soldat konnte dieser Aufforderung nicht widerstehen und nahm das ihm aufgedrängte Geld gerne an. So hatte sie zum Schaden auch noch den Spott.

Im Winter 1703/04 waren in Stadt und Amt viele Holländer einquartiert. Holland stand seit der Großen Haager Allianz von 1701 auf Seiten Habsburgs. Der kaiserliche General Thüngen hatte Quartier im Ochsenwirtshaus bezogen und überwachte den Baufortschritt der Sperrlinie zwischen Neuhausen und Stockach. Diese Schanzen- und Sperrlinie hatte den Zweck, eine Vereinigung des französisch-bayerischen Heeres mit den erwarteten französischen Verstärkungstruppen zu verhindern. Vor allem sollte es die Kommunikation der in bayerisch Schwaben stehenden Franzosen nach Westen bzw. einen Marsch der Franzosen donauaufwärts verhindern. Ende April 1704 waren die Bauarbeiten abgeschlossen, das Schanzwerk war vollendet.

Die Bayern erfuhren durch abgefangene Briefe von dem Vorhaben der kaiserlichen Seite. Sie rückten in starkem Marsch heran, schon am 9. Mai mußten die Holländer zur Verteidigung der Sperrlinie ausrücken. Doch General Thüngen konnte mit seinen 7000 Mann nichts gegen die Übermacht des Feindes ausrichten (allein die Vorhut belief sich auf etwa 30000 Mann). Tags darauf floh die Tuttlinger Bevölkerung aus der Stadt. Am 11. Mai, dem Pfingsttag, stürmten die Bayern-Franzosen die Sperrlinie und jagten nach Tuttlingen, um die Stadt zu plündern und zu besetzen.

Die Stadt hatte bereits eine Delegation ausgeschickt, um bei dem bayerischen Kurfürsten um Schonung zu bitten. Diese trafen ihn auch sofort auf dem Marsch an und erhielten gleich zwei Salva Guardia, wodurch Tuttlingen von Plünderungen befreit worden war. Es lief jedoch trotzdem nicht ganz ohne ab, vor allem die Husaren hatten Brände gelegt und weil etliche Leut das Gelt in Sack geschoben, haben sie solche ausgekehrt. Es wäre sicher noch mehr und ärgeres an Plünderungen geschehen, wenn sie nicht erfahren hätten, daß bei der äußeren Mühle etwas von der Bagage zurückgeblieben war, der sie hinterher eilten und sie auch bekamen. Die Wut der Plünderer wurde aber auch dadurch gesteigert, daß einige im Bärenwirtshaus sich aufhaltende kaiserliche Husaren aus den Fenstern auf sie herabschossen. Auch der Viehhirt brachte keine guten Nachrichten in die Stadt, er selbst kam zwar mit seinem Leben davon, aber von der Herde wurde von den Husaren nidergemetzget so vil sie erhaschen konnten.

Inzwischen war die gesamte bayerisch-französische Armee in Tuttlingen angekommen, der Kurfürst bezog wieder Quartier im Hirschen, der französische General Marsin, Kommandeur der französischen Donauarmee, quartierte sich im Spezialat ein. Damals wurde die leuth hefftig um wein geplagt, welcher nicht wol zubekommen gewesen, indem die Officirs in den Wirthshüsern alsbald die Kellerschlüssel selbst in die Hand genohmen und den wein vor sich behalten. Die Stadt muste Brandschatzung geben 6000 fl. und 80 Stück Vieh.

Auch der Bedarf nach einem geeigneten Raum für die katholischen Gottesdienste war schnell befriedigt: Dieser Zeit hat man Meß in der Kirch gehalten welches einen theils ein stück war, weil die Pfaffen selbsten gar wol Achtung gaben damit niemand nichts raube oder verletze in der Kirch, wie sie dan selbst die leuth nach verrichteter Meß ausgetrieben und fleissig beschlossen haben. Es haben aber absonderlich die Officiern diese Kirch als ein schön gebäu in Ehren gehalten und gesagt daß Sie dergleichen in Frankreich nicht gesehen hetten.

Am 14. Mai verließen die bayerisch-französischen Truppen Tuttlingen und wandten sich Villingen zu. Im abzug von hier haben sie die noch übrige gute Pferd auch mitgenohmen, und weilen der Baierfürst den herrschaftlichen Kasten (Fruchtkasten) leeren ließ nach seinem Abzug, so haben die Marodeurs unns ziemlichen schaden in den häusern gethon, wie sie etliche Küh, Kälber, Schwein, Kleider und anders geraubt. Die Wintersaat ist abermal von Ihnen gantz abgemäht worden. Von Villingen wandte sich das Heer nach Stockach, das sie am 23. Mai in Schutt und Asche legten.

Nach dem Abzug der bayerisch-französischen Streitmacht kam am 21. Mai dann die kaiserliche Armee nach Tuttlingen, von denen hernach, wiewol sie sich nicht feindlich bezeugten, die Saat völlig abgeführt worden und was die frantzosen von holtzwerk und zäun überliessen verbrandten sie voll. Der Fürst von Anhalt-Dessau logierte im Spezialathaus, der preussische General Nazmer bei dem Diakon, der Generallieutenant Louis im Hirschwirtshaus, der Herzog von Württemberg residierte in der Kellerei. Plündernd umherstreifende Husaren brachten am 22. Mai Gegenstände mit sich in die Stadt, die sie 3 Stunden entfernt dem bayerischen Tross abgenommen hatten. Darunter war ein mit Diamanten besetzter Stab des Kurfürsten, der ihm vom französischen König verehrt worden war und mehrere Silbergegenstande. Die Preziosen wurden Generallieutenant Louis übergeben. Die Tuttlinger sahen darin aber ein böses Omen.

Mit der Verlagerung der Heere kam für Tuttlingen eine etwas ruhigere Zeit. Erst mit der Schlacht auf dem Schellenberg bei Donauwörth (2. Juli 1704) bekam Tuttlingen wieder etwas vom Kriegsgeschehen zu spüren. Auf Befehl Ludwigs XIV. wurden die Truppen Tallards als Verstärkung hinzugeschickt. Von Tuttlingen wurde gefordert, etliche tausend Pfund Brot den Verstärkungsarmeen zuzuführen, die partien so underdessen von Ulm und Biberach aus zu dem Tallard raiseten machten auch grosse Ungelegenheit weil man ihnen allzeit indem sie auff hiesigem feld übernachteten, brod, flaisch, Frucht, Wein, Bier, Holtz etc. hinaus schaffen muste.

Auch die Belagerung Villingens durch Tallard war in der Stadt zu spüren: Weil indeß Villingen 3 Tag belagert und beschossen wurde, schickte der Tallars ein Corpo Dragoner her, die bewahrten das Stättlin daß die Marodeurs keinen Schad thaten. Tallard mußte am 23. Juli Villingen bedingt durch den Kriegsfortgang unverrichteter Dinge verlassen und nächtigte nochmals mit seiner Armee in und vor Tuttlingen. Tallard stieg im Ochsenwirtshaus ab, Marquis de la Valliers hielt sich sehr königlich im Diakonatshaus auf. Den 24. zog die gantze Armee fort Ulm zu. Bey diser begebenheit hat man abermals Salva guardi halten müssen, die sehr vil gekostet haben. Die reuterey aber hat die früchte so schon blüheten abgemäht und gefuttert.

Nach der Niederlage des bayerisch-französischen Heeres in der Schlacht bei Höchstädt 13. August 1704) zog sich Frankreich auf linksrheinisches Gebiet zurück, nicht ohne wieder einmal durch Tuttlingen zu ziehen. Den 20. Aug. ist der gesamte feindl. Scharen wider anher kommen, als sie die Schlacht bei Höchstedt verlohren, daß also in 16. Wochen 4 Grosse Armeen, 3 feindl. und 1 kayserl. hier gestanden. Der bayerische Kurfürst lag im Hirschwirtshaus, der französische General Marsin im Spezialat, ein Intendant namens Courteton im Diakonat. Sie waren wegen empfangenen Unglücks ziemlich unwillig und hatten wenig gute Wort. Alle Häuser waren gesteckt voll, wie dan im Diaconathaus allein 40 Man gewesen.

Zur Plage der Einquartierung kam auch noch eine große Hitze, die in Verbindung mit den in Tuttlingen liegenden Menschenmengen zu katastrophalen Zuständen führte: Sämtliche Brunnen innerhalb der Stadt waren verdorben, so daß in der Stadt kein sauberes gutes Wasser mehr zu bekommen war. Auch die Donau war nur noch ein stinkendes Gewässer voller toter vermodernder Pferdekadaver. Einzige Möglichkeit an Trinkwasser zu gelangen war, es direkt an den vor der Stadt liegenden Quellen zu holen, so ist von dem Undern Thor bis zu der Bronnenstube under der Schmeltze der Weg tag und Nacht dahin voller leuth gewesen die Wasser geholt haben. Es kam endlich dahin daß eine Mas frisch Bronnenwasser 15 kr, eine Mas guten Neckarweins aber auf 5 fl kommen ist.

Die Pferde, weil sie im Heraufmarch vil unzeitige Früchte bekommen und gefressen, haben anfangen einzufallen, wie dan hier gegen 300 Stük lagen, die langsam verfaulten. In der immensen Hitze des Spätsommers diesen Jahres führte das zu einem unerträglichen Gestank. Auch trugen darzu 4 gehängte, die wegen Kirchenraubs in dem Felde an einem wilden Birnbaum bey dem Ehrenberg wie man Möringen zu geht, gehenkt worden bei, die die Lufft ziemlich verunreinigten und wol hetten einen Geruch verursachen können, wa man nicht guter anstalt folgte und sie samt den Pferd theils vergraben, theils verbrennt hette.

Weil die Stadt die ihr auferlegte Brandschatzung nicht vollständig bezahlen konnte, nahmen die Franzosen gleich 4 Bürger, nämlich den Stadtschreiber Georg Wolfgang Geß, zwei Bürgermeister, Johann Konrad Eyrich und Johann Adam Weinheimer und den Heiligenvogt August Rebstock gefangen und schleppten sie als Geiseln am 23. August mit sich fort. Ihnen hätte auf dem Weg nach Straßburg der sichere Tod gedroht, wenn nicht Schaffhauser Kaufleute die Bezahlung des noch ausstehenden Betrags zugesagt hätten. Somit wurden die Geiseln in Geisingen wieder frei gelassen.

Indes hat Gott seine Gnad noch trefflich über die Statt walten lassen daz bey so grosser Menge der Feind nie kein feuersbrunst entstanden, niemand gewaltthätiger weis beraubt oder feindseligkeit verübt worden. Ja als deß verstorbenen Specialis Mr Baldenhofers Wittib 2 Küh verlohren und den Thäter erfahren, hat man ihr 30 fl darfür bezahlt. Deßgleichen als man einem Krämer einen Sak Woll Waaren und Klaider im Keller genohmen, Er aber bey dem Bajernfürsten sich persönlich über den Thäter beklagt, wurde Ihm das Verlohrene wieder zugestellt. Wiewol es doch nicht gar lär abgangen, denn wenn der Soldat etwas hat heimlich fortbringen können, hat ers nicht versäumt. Unter disen frantzosen haben ihre Pfaffen eine Hur mit sich geführt, die war als ein Mann gekleidet, lag in des Kupferschmid Kochen Haus, so hat die Kupferschmidin vil unzucht von ihnen gesehen.

Allein in der Stadt Tuttlingen, das in diesem Krieg von Einquartierungen beider Parteien (Habsburg-Holland und Bayern-Frankreich) betroffen war, wurde in diesen zwei Jahren ein Schaden von 4334 fl im Jahre 1703 und 7298 fl im darauffolgenden Jahr registriert. Obwohl auch fast die gesamte Ernte von zwei Jahren im Tuttlinger Raum durch die Truppendurchzüge vernichtet war, so kam auch hier die glückliche Fügung den notleidenden Menschen zugute: kostete in den Jahren davor 1 Scheffel Veesen noch 3 fl, so sank der Verkaufspreis, bedingt durch gute Ernten im restlichen Land, in den Tuttlinger Hungerjahren auf 2 fl. Auch das Vieh, das wegen Futtermangels in benachbarten Orten untergestellt werden mußte, blieb am Leben. Gott sey Dank dafür so lang wir leben.

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